Die Mädchen sägen wie die Weltmeister


Hockenheimer Tageszeitung, 19.10.2013

Reilingen. „Wir wollen zeigen, dass es noch etwas anderes für Mädchen gibt als Friseurin oder Hotelfachfrau“, sagt Christiane Marquetant vom gleichnamigen Zimmereibetrieb aus Reilingen. „Sie sollen einfach mal eine Säge in die Hand nehmen – ohne Angst zu haben, dass etwas schiefgeht.“ Und wenn die Acht- und Neuntklässler aus Reilingen, Baiertal, Diehlheim und Mühlhausen beim gestrigen Berufsparcours, organisiert durch die Schillerschule, in der Fritz-Mannherz-Halle zum Werkzeug greifen, „sägen sie wie die Weltmeister“, freut sich Marquetant. Dann ist von Angst keine Spur mehr.

Verborgene Talente entdecken

Genau das gleiche Bild bietet sich beim Stand zum Berufsbild Holzmechaniker beziehungsweise Tischler. Lehrer Uwe Lackner aus Diehlheim betreut die insgesamt 192 Schüler hier. „Der Bohrer ist den meisten Mädchen suspekt, bei den Jungen ist das natürlich anders. Die greifen einfach zu und los geht’s.“ Und genau das ist auch das Ziel der Veranstaltung: sich ausprobieren und einfach mal testen, was einem im späteren Berufsleben gefallen könnte. So können die Jungs auch mal zum Lockenwickler greifen und am Stand von Evas Hairstore mal die Haare der Frisierpuppe stylen.
So entdeckten die Schüler der achten und neunten Klassen vielleicht auch das eine oder andere verborgene Talent – und das kommt bei den Jugendlichen super an. „Der Berufsparcours ist richtig cool. Das könnte man ruhig öfter machen“, platzt es aus Aileen Karatas von der Schillerschule heraus. „Ich wollte immer schon Friseurin werden, habe jetzt aber auch einen Einblick ins Hotelfach erhalten. Das finde ich auch richtig interessant. Auch das Bauen des Schlüsselanhängers am Tischler-Stand hat Spaß gemacht.“ So hat die Achtklässlerin doch noch einige neue Berufsideen entdeckt. Das freut Lehrer und Organisator Kurt Heißwolf natürlich: „Genau das wünschen wir uns. Das Handwerk ist bei den Schülern nicht mehr so stark nachgefragt. Daher macht es besonders Sinn, dass sich gerade die hier ansässigen Betriebe vorstellen und zeigen, wie der Beruf wirklich aussieht.“
Beschreibungen bei den Arbeitsagenturen sind oftmals abstrakt und starr formuliert. Beim Berufsparcours, der seit einigen Jahren zwischen den vier Gemeinden organisiert wird, erleben die Schüler hautnah, welche Arbeiten welchen Beruf ausmachen. Er setzt sich aus praktischen Aufgaben und theoretischen Workshops zusammen und fand nun zum ersten Mal in Reilingen statt. Bei den Workshops erfahren die Schüler etwas über Sozialversicherungen, hören Wissenswertes zu Vorstellungsgesprächen oder machen einen Berufseignungstest. Auch ein Rhetorikseminar wird angeboten. „Wir wollen den Jugendlichen auch vermitteln, dass sie beispielsweise nicht mit Mütze und schmutziger Jeans zu einem Vorstellungsgespräch gehen“, ergänzt Schulleiter Falk Freise seinen Kollegen.

Lob an die Betriebe

Großes Lob geht auch an die hiesigen Betriebe. Heißwolf: „Ich finde es toll, dass die sechs Firmen aus Reilingen und Neulußheim ihre Auszubildenden geschickt haben. Da ist das Gespräch doch eher auf Augenhöhe, als wenn der Chef vor den Achtklässlern steht.“ Und diese lockere Art der Veranstaltung merkt man auch in der Halle beim Parcours. Die Schüler probieren alle Stationen ohne Scheu durch. „Ich hab’s geschafft!“, sagt Ailleann Bender von der Schillerschule am Stand für Mechatroniker, Elektroniker und Ingenieure. Sie musste Kabel so verlegen, dass beim Drücken der Taste ein Ton erklingt. Gar nicht so einfach, aber mit ihren Freundinnen Daylin Jankowski und Nina-Anica Hage hat sie es hinbekommen. „Aber Elektriker wäre nichts für mich“, sagt Ailleann ehrlich.
Ganz anders ist es bei Olivia Szachnitowska. Sie interessiert sich schon seit sie laufen kann für Autos. „Mir hat der Friseur-Stand zwar auch gefallen, aber ich überlege, ob ich nicht doch eine Ausbildung zur Elektronikerin oder Mechatronikerin mache. Ich schraube schon immer gerne.“ Der Berufsparcours hat sie in dieser Idee noch mehr bestärkt. „Ich fand die Elektromontage mit dem Isolieren von Kabeln richtig interessant,“ sagt sie, bevor sie auf den Bagger steigt. Der steht nämlich vor der Fritz-Mannherz-Halle. Jeder Schüler darf mal testen, einen Baumstamm hochzuheben. Auch keine leichte Aufgabe wie Stephanie Löffler aus Reilingen merkt, die sich aber sehr gut schlägt – genauso wie beim Lockenwickeln. „Leider gab es nichts mit Tieren, aber so konnte ich mal in den Friseur-Beruf reinschnuppern“, so die Achtklässlerin.

Schüler fürs Handwerk begeistern

„Wir wollen die Schüler wieder mehr ans Handwerk heranführen, denn sie haben sich von diesen Berufen etwas entfernt“, spricht Kurt Heißwolf die momentane Situation an. „Die jungen Leute streben nach höherer Schulbildung“, erklärt Rektor Falk Freise. „Früher gingen nach dem Abschluss 50 Prozent der Schüler in eine Ausbildung, heute sind es vielleicht noch zehn Prozent.“ Dies sei ein Grund, warum die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei Ausbildungsplätzen immer größer wird. Aber auch die Ansprüche der Betriebe seien gestiegen, meint er. An der Qualität der schulischen Bildung liege es jedenfalls nicht, dass manche Absolventen keine Ausbildung bekommen. „Wir haben nie negative Rückmeldungen über unsere Schüler erhalten – nicht nach Praktika und auch nicht nach der Schule, wenn sie in der Ausbildung sind.“
Und die sechs Betriebe aus Reilingen und Neulußheim, die sich und ihre Arbeit in der Fritz-Mannherz-Halle vorgestellt haben, sind mit den Schüler zufrieden. Mit dabei waren: Hopf-Pietätsartikel, Hairstore Eva , Landschaftsgärtner Beier, Stanz- und Erodiertechnik Hoffmann, Achat-Hotel, Einrichtungshaus Ehrmann und Dachdeckerei und Holzbau Marquetant.