Vertrauen lernen und Anerkennung finden


Das „Theater im Bahnhof“ bietet einen ganz besonderen Workshop für Haupt- und Werkrealschüler in Dielheim

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 5 b aus der Werkrealschule in Dielheim sollen einen Kreis bilden und sich an den Händen fassen. Das ist nicht so einfach, wenn eine Mädchen- und eine Jungenhand aufeinander treffen oder zwei sich berühren sollen, die sich noch eine Stunde vorher spinnefeind gewesen waren. Anschließend muss jeder in die Mitte gehen, die Runde anschauen und seinen Namen sagen. Auch das macht Probleme, genauso wie die Füße so zu stellen, dass sie „Fünf nach Elf“ anzeigen. Noch eine Spur schwieriger wird es, sich mit „Ich bin der tolle Timo“ oder ich bin die fröhliche Fatma“ vorzustellen, also einer Eigenschaft mit dem gleichen Anfangsbuchstaben wie der Vorname. Bei diesen etwas ungewohnten Aufgaben im Workshop des Dielheimer Theaters im Bahnhof sorgt der Theaterpädagoge und langjährige Regisseur Manfred Maier dafür, dass niemand bloßgestellt wird. So füllt er die Lücke zwischen zwei Händen, die nicht zueinander finden wollen oder macht eine misslungene Fußstellung schnell zur neuen Aufgabe bevor Lacher aufkommen.

Mit dieser etwas anderen Art von Unterricht möchte Maier die Kinder spielerisch an das Theaterspiel heranführen, was nicht heißt, dass es nicht anstrengend wäre. Zuhören- und Zusehen, Konzentration und Körperbeherrschung sind wichtige Fähigkeiten, die es zu beachten gilt, ohne dass irgendwelches Fachwissen abgefragt werden muss. „Es ist wichtig, dass ihr euch auf euren Partner verlassen könnt“, erklärt Maier den Kindern, als sie paarweise und abwechselnd „Blinder“ und „Blindenführer“ spielen. Richtig anstrengend wird es mit „Slow Motion“. Jeweils ein Paar muss dich quer über den Zuschauerraum in Zeitlupentempo aufeinander zu bewegen: „Partner anschauen, und wenn der rechte Fuß geht, dann geht die linke Hand vor.“

Schon kleine Kinder haben großen Spaß daran sich zu verkleiden und in eine andere Rolle zu schlüpfen, angefangen von „Papa und Mama“ und dem „strengen Lehrer“ oder dem „Onkel Doktor“ bis zum Fußballstar oder dem Held einer Science Fiction-Serie im Fernsehen. Aus diesem Grund ist Kindertheater mehr als die künstlerische Darstellung einer Geschichte. Unter pädagogischer Anleitung können hier Kinder ihre Emotionen zeigen und gleichzeitig lernen sie zu kontrollieren. Auch Kinder, die nicht gerade zu den Gewinnern im Leben und in der Schule gehören, entwickeln Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, erleben die Anerkennung von Freunden und den Eltern und genießen den Applaus bei jeder Aufführung. Gerade deshalb ist es Maier ein Anliegen, die Kinder der Haupt- und Werkrealschule in Dielheim an das Theaterspiel heranzuführen. „Hier lernen sie Konzentration und Ausdauer, auch die Liebe zum geschriebenen Wort.“ Comics seien durchaus ein geeigneter Einstieg.

Immerhin zeigte die Hälfte der Workshop-Teilnehmer Interesse, in einer regelmäßigen Gruppe weiterzumachen. Einige Jungs waren allerdings waren mehr an der Abteilung „Technik“ mit den Scheinwerfern für die Bühnenbeleuchtung, Schaltpult und Verstärkern interessiert. „Auch die werden gebraucht“, ließ Maier wissen. Außerdem gäbe es, bevor ein Stück auf die Bühne komme, noch sehr viel zu tun, wie zum Beispiel der Kulissenbau, die Kostüme und das Schminken. Im Gespräch mit der RNZ erzählte Maier, dass der Theaternachwuchs sich bisher überwiegend aus Gymnasiasten zusammensetzte, die aber nach dem Abitur immer häufiger „hinaus in die Welt“ ziehen würden. So setze er auf die Haupt- und Werkrealschüler, die gute Aussichten hätten, in der Region eine Lehrstelle zu erhalten und damit vielleicht eher am Ort oder in der Umgebung blieben. Abschließend wies er noch daraufhin, dass in nächster Zeit in Zusammenarbeit mit der Musikschule Horrenberg-Dielheim eine Kindergruppe gebildet und von einem qualifizierten Theaterpädagogen geleitet werde. Falls Eltern die Gebühren nicht aufbringen könnten, suche der Verein gemeinsam mit der Schule nach einer Lösung.

Theater im Bahnhof
Theater im Bahnhof
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