„Rückenwind“ an der Leimbachtalschule Dielheim: Förderunterricht für Schüler mit Lernlücken wegen Corona – Kooperation mit VHS
Von Sophia Stoye
Ihr Kinderzimmer wurde zum Unterrichtsraum, Schule bedeutete ab jetzt, zu Hause bleiben: Nahezu ein komplettes Schuljahr lernen und arbeiten die Schülerinnen und Schüler zusammengerechnet schon im Homeschooling statt im Klassenzimmer – und das nicht ohne Folgen. Damit diese aber möglichst gering ausfallen, hat das Land Baden-Württemberg das Förderprogramm „Rückenwind“ verabschiedet (siehe Hintergrund), das seit Herbst 2021 an den Schulen umgesetzt wird. So auch an der Leimbachtalschule in Dielheim, wo in Kooperation mit der Volkshochschule (VHS) Südliche Bergstraße die coronabedingten Lernlücken der Schülerinnen und Schüler nun möglichst schnell geschlossen werden sollen. Nun wurde der Kooperationsvertrag unterschrieben und das Projekt auf feste Füße gestellt.
„Ich bin definitiv im Rückstand“, erklärt Angelina Müller. Vor allem, wenn im Präsenzunterricht auf Themen aufgebaut werde, die man online nicht verstanden habe, so die Schülerin. Und als sie wieder zurück in der Schule gewesen sei, sei ihr auch die Mitarbeit im Unterricht schwerer gefallen. Allein schon Nachfragen zu stellen, ist laut Schulkollege Luuk Herrmann im Homeschooling viel schwerer: „Es kann sein, dass die Lehrer gleich antworten oder erst Tage später.“
Alexander Hörner hingegen fand den digitalen Unterricht „gar nicht so schlecht“. Er sei mit seinen Aufgaben immer schon am Vormittag fertig gewesen und hatte dann nachmittags Zeit für sich – anders als in der Schule, wo er warten müsse. „Aber dafür braucht man Disziplin“, erklärt Konrektorin Beate Ringel. Und trotz mancher Vorteile gehe das Soziale unter. „Eure Pubertät habt Ihr in den Zimmern verbracht“, sagt sie. Zudem sei es im Homeschooling für die Lehrpersonen viel schwerer zu erkennen gewesen, ob ein Schüler im Unterricht mitkomme oder nicht. „In Präsenz sieht man das viel schneller an den Gesichtern der Jugendlichen“, so die Konrektorin.
Alexander Hörner, Angelina Müller und Luuk Herrmann besuchen alle drei die zehnte Klasse und müssen deshalb in diesem Jahr ihre Realschulprüfung ablegen. Davor haben sie aufgrund der Corona-Pandemie inzwischen mehr Respekt. „Neben der normalen Prüfungsvorbereitung muss man sich noch Gedanken machen, dass man alle Lücken schließt“, so Müller. Aber Konrektorin Ringel beruhigt die Schüler: „,Rückenwind’ ist nicht das Non-Plus-Ultra, aber es gibt euch Sicherheit.“
Das Angebot von „Rückenwind“ ist freiwillig, so Ringel – zusätzlich zu den rund 36 Wochenstunden der Schülerinnen und Schüler. „Es gibt auch welche, die nicht teilnehmen wollen. Aber diejenigen, die mit Engagement in den Förderunterricht gehen, werden auch etwas lernen“, ist die Konrektorin überzeugt.
Insgesamt umfasst der Förderunterricht von „Rückenwind“ in Dielheim knapp 40 Stunden pro Woche. Finanziert wird das Programm von Bund und Land. Jeder Schule steht ein bestimmtes Budget zur Verfügung – abhängig von der Schülerzahl. „Daraus müssen wir die Material- und Honorarkosten für die Dozenten bezahlen“, erklärt Ringel. Ist das Budget aufgebraucht, können neue Gelder beauftragt werden oder das Programm, das eigentlich auf zwei Jahre ausgelegt ist, endet frühzeitig.
So gut die erhofften Effekte von „Rückenwind“ auch klingen, unumstritten ist das Projekt nicht, wie Patrick Merz, Rektor der Leimbachtalschule, deutlich macht: „Es ist ein enormer Aufwand an Verwaltungs- und Organisationsarbeit“, sagt er. „Einen Ausgleich gibt es nicht.“ Zudem fielen diese Zusatzaufgaben zu einer Zeit an, in der sich die Schulleitungen coronabedingt sowieso mit vielem beschäftigen müssten, was eigentlich nicht in ihren Aufgabenbereich gehöre. „Das ist ein ungünstiger Zeitpunkt für ,Rückenwind’“, so Merz. Ihm wäre mehr geholfen gewesen, wenn man das Geld in eine zusätzliche festangestellte Lehrkraft investiert hätte, als in externe Dozenten.
„Es ist ein Haufen Arbeit“, sagt auch Ringel, die die Hauptorganisation für „Rückenwind“ übernimmt. Vor allem, weil das Programm ständig angepasst werden müsse – je nach dem, wo der Bedarf derzeit am höchsten sei. Steht zum Beispiel eine mündliche Kommunikationsprüfung an, werde verstärkt Förderunterricht für Fremdsprachen angeboten. Ist die Prüfung rum, werde der Fokus auf etwas anderes gelegt.
„Das ist ein permanenter Prozess der Organisation und das macht es in der Praxis so anstrengend“, so Merz. Aus diesen Gründen gibt es ihm zufolge „nicht wenige Schulen, die die Finger davon lassen“. In der Region beteiligen sich laut VHS-Leiterin Annette Feuchter auch andere Schulen, beispielsweise in Walldorf, Wiesloch oder Sandhausen. Auch sie äußert Kritik: So dürften von Seiten der VHS nur berentete und nicht aktive Lehrkräfte, die sich zum Beispiel im Referendariat befinden, als Dozentinnen und Dozenten bei „Rückenwind“ arbeiten, erklärt sie und pflichtet Merz bei: „Bei allem Guten ist das Projekt umstritten.“
Von denen Schülerinnen und Schülern, die „Rückenwind“ benötigten, mache ungefähr die Hälfte mit, meint Ringel. Trotz der Kritik bereut sie es nicht, dass die Dielheimer Leimbachtalschule an dem Förderprogramm teilgenommen hat. „Selbst wenn es nur fünf Leuten etwas bringt, hat es sich gelohnt“, ist Ringel überzeugt, „auch wenn ich zwischendurch fürchterlich geschimpft habe.“ Zudem zeigten sich laut Ringel schon die ersten Lerneffekte: „Und darum geht es ja.“
Rhein-Neckar-Zeitung vom 05.02.2022